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Die Powerhand
Aus der PETRI NEWS 200-2016

 H.R. Hebeisen

Die Powerhand

«Weinen muss ich, wenn ich solchen Bockmist höre...»

An meiner Fliegenfischer Schule reden wir nie von rechter und von linker Hand, sondern allein von Ruten- und von Schnurhand. Hat in erster Linie damit zu tun, dass es immer auch Linkshänder unter den Schülern hat. Was aber bleibt, ist die Tatsache, dass Fliegenfischen mit zwei Händen ausgeführt wird, was wohl alle wissen. Aber leider ist, und das ist auch bei Fortgeschrittenen der Fall, nur den Einen klar, dass die sogenannte Linke, eben die Schnurhand, so wichtig ist wie die Hand, welche die Rute führt. Ja oft noch wichtiger.

Die Distanz eines turniermässigen Wurfes, über 50, ja gar 60 Meter kommt vorwiegend aus der Schnurhand, sie ist die Powerhand, welche zuerst die Fliegenrute optimal lädt und dann der Fliegenschnur beim Abschuss die entsprechende Geschwindigkeit gibt, welche nötig ist, um Rekorddistanzen zu werfen. Das ist übrigens beim Distanzwerfen mit dem Spinngerät ganz ähnlich. Allein der mit der Zughand bewirkte Übersetzungshebel biegt die Spinnrute optimal, damit die grösstmögliche Distanz erreicht werden kann. Achten Sie mal darauf, wenn Sie auf einem Sportplatz diese Disziplin üben.

Aber kommen wir zum Fliegenwerfen zurück. Die Schnurhand kann Ihnen Ihren Wurf schon dann versauen, wenn sie nix tut. Wenn sie einfach stehen bleibt, was leider bei der Mehrheit der Fliegenfischer weltweit der Fall ist. Resultat: Beim Rückwurf zieht er etwas Fliegenschnur durch die Ringe, was fast so etwas wie einen halben Doppelzug ergibt, aber grad darauf erfolgt die negative Antwort; beim Vorwärtswurf gleitet die gleiche Menge Fliegenschnur wieder durch die Ringe und verhindert so die optimale Ladung der Fliegenrute beim Vorwärtswurf. Ja nun, kein Problem, mit fünfzig Prozent mehr Kraftaufwand kann und muss man auch dieses Negativum kompensieren. Stichwort: Kraft. Ich möchte immer am liebsten weinen, wenn dieser Ausdruck in Verbindung mit Fliegenwerfen vorkommt. Und er kommt leider sehr oft vor.

Ähnlich wie die Schlaumeier von Experten, welche Schülern erzählen, eine enge Schlaufe beim Fliegenwerfen sei kein Vorteil. Bloss weil sie mit ihrem ineffizienten Wurfstil nicht in der Lage sind, überhaupt eine enge Schlaufe zu werfen. Stichwort: „Knie auf der Rutenhandseite vor, dann hat man noch mehr Kraft im Wurf.“ Weinen muss ich, wenn ich solchen Bockmist höre.

Die „Kraft“, die „Dynamik“ und so nicht nur die Distanz, sondern, was für die meisten Fliegenfischer viel wichtiger ist, die Minimierung des Krafteinsatzes kommt, physikalisch absolut nachweisbar, vorwiegend aus der Schnurhand. Sie ist die Powerhand. Als der, der schon im Jahre 1969 mit einem Hohlglas-„Kuhschwanz“ einen Weltrekord in der Casting Disziplin Fliege Distanz Einhand mit 62.73 Meter warf, weiss ich auch diesbezüglich zum Thema etwas mehr. Und lehre das nun auch schon seit 49 Jahren an unserer Fliegenfischer- Schule. Und zwar richtig, nicht „Knie vor“. Sondern nach der These „Eigendynamik“ – heisst, die Fliegenrute arbeitet – sie hat ja schliesslich auch Geld gekostet. Schauen Sie sich unbedingt mal die DVD 7, „Perfektes Fliegenwerfen“ an, dann werden auch Sie, natürlich nur was das Fliegenwerfen betrifft, ein Minimalist.

H.R. Hebeisen