H.R. Hebeisen
Fliegenwerfen: Wie weit ist weit?
Es ist richtig. Allein die Distanz eines Fliegenwurfes ist nicht das Mass aller Dinge ist. Aber es ist ein Mass. Ein wesentliches. Ohne die absolute Beherrschung der Fliegenwurf-Technik in Verbindung mit einem guten Fliegengerät ist es nicht möglich, allergrösste Weiten, ja Rekorddistanzen zu werfen.
Kürzlich gingen in Spanien die Casting-Weltmeisterschaften 2016 zu Ende. Logisch las ich als ehemaliger Proficaster die Rangliste exakt. Dass man in der Disziplin Fliege Ziel eine runde 100 werfen muss um einen „Blumenstrauss“ zu gewinnen ist seit vielen Jahren klar, eine zweite 100 in schneller Zeit geworfen, sichert sogar meist noch eine Medaille.
In Sachen Fliege Distanz mit dem Einhandgerät hat sich seit meinem Weltrekordwurf von 62.73 m aus dem Jahre 1969 viel getan. Vor allem Gerätetechnisch. Die Kohlefaser löste Hohlglas ab, die Fliegenschnüre haben sich enorm verbessert. Und die Caster von heute sind auch Athleten. Vorbei die (feucht-) fröhlichen Zeiten des Zusammenseins nach dem Motto „Mitmachen ist alles“. Dafür traf ich damals auf Caster und Sponsoren wie James L. Hardy, John E. Tarantino, Leon Martuch sen. (Scientific Anglers), Charles Ritz, Pierre Creusevaut, Lennart Borgström (Abu) usw. welche interessante Geschäftsverbindungen öffneten, die ich als studierter Kaufmann rege nutzte und welche die Basis dafür waren, an die Spitze der Branche zu gelangen.
Lass uns einen kurzen Blick auf die aktuelle WM-Rangliste werfen. 58.67 m genügten für Gold – bei den Damen, Alena Kläusler war die Siegerin. Bei den Herren genügten Pavel Konkol 65.06 nicht, um überhaupt am Final der besten Acht teil zu nehmen! Sieger wurde Karel Koblina mit 68.77 m, Jan Weitz warf 60.39 cm und wurde beachtlicher 23igster. Unser Gerhard „Jimbo“ Lussi warf 57.44 m, es reichte grad noch zum 33. Rang, dafür legte er einen 100er in Fliege Ziel hin. Diese Meterzahlen und Gewinnränge einfach mal so als Gradmesser und Basis für diese Kolumne. Ein Caster ist der F1-Fahrer der Autofahrer.
In Fliege Lachsdistanz mit dem Zweihänder gewann Pawel Stopa mit 87.28 m. Immerhin reichten 80.03 m um am Final der besten Acht teilnehmen zu dürfen!
Um solche Distanzen zu erreichen braucht es einiges, was zusammen stimmen muss. Ein gutes Gerät, eine gute Thermik und eine enorme Menge Trainingsstunden um einerseits eine möglichst perfekte Wurftechnik zu besitzen, die letztendlich doch auch die Bildung der entsprechenden Muskulatur zur Folge haben. Ohne diese Muskulatur ist es auch nicht möglich, eine doch nicht sehr leichte, sehr steife Einhand-Fliegenrute mit einer 16 Meter langen und 37 Gramm schweren Fliegenschnur dermassen explosiv (und auch noch im richtigen Steigungswinkel entsprechend der Thermik) ab zu schiessen. Und letztendlich, enorm wichtig, genau im perfekten Sekundenbruchteil die Fliegenschnur mit der Zughand los zu lassen.
Ich sass kürzlich mit einem der grössten Caster aller Zeiten, mit Peter Hässig, im Toggenburg zusammen. Bei einem, nein zwei Glas Wein, redeten wir nicht, wie das so üblich ist bei alten Herren, nur über die Vergangenheit. Nein, über das Heute und die Zukunft. Wir stellten fest, dass sich die Caster-Szene massiv gegen Osten verlagert hat und zwar bis nach Japan, was wiederum erfreulich ist. Und, dass heute der Trainingsaufwand noch viel grösser ist, um ganz vorne dabei zu sein. Zu meiner Zeit (die 60er-Jahre) genügten mir noch reine 500 Trainingsstunden pro Jahr.
Mir kamen derweil wieder diverse Auftritte an Fly Shows und vor allem in Foren von gewissen Fliegenfischern in den Sinn, die zwar in der Lage sind, die ganze Fliegenschnur von immerhin 27 m sauber hin zu legen (oder auch nicht, wie erlebt, wenn die Thermik nicht optimal ist), die aber offenbar überzeugt sind, zur „Weltelite“ der Fliegenwerfer zu gehören. Solche, die leise vage Andeutungen mach(t)en, dass sie das Fliegenwerfen „erfunden“ haben, habe ich auch schon erlebt. Fliegenwerfen hat auch seine heiteren Seiten.
H.R. Hebeisen